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Hochsensibel, berufstätig, Mutter – so gelingt der Alltag! von Andrea Lorenz

Dez. 5, 2025 | Allgemein, Business Moms schreiben - GASTbeitrag

Viele Mütter spüren, dass Hochsensibilität den Alltag auf besondere Weise prägt – oft leise, manchmal überwältigend. Sie balancieren Job, Familie und Reizflut gleichzeitig – oft ohne ein Bewusstsein oder Sprache dafür zu haben. Andrea Lorenz bringt mit dem folgenden Gastbeitrag Klarheit ins Thema und teilt alltagstaugliche Wege, die sofort spürbar entlasten:

Ich sitze auf meiner Couch mit geschlossenen Augen. Meine Ohren dröhnen, als wäre ich auf einem Konzert neben dem Lautsprecher gestanden. Ich war allerdings auf keinem Konzert, stattdessen war ich auf einem Work-Event mit gerade mal 10 Frauen. Meine Sinne sind erschöpft, mein Körper auch. Der Tag hat mich an meine Grenzen gebracht und meine lauthals streitenden Teenager tragen gerade nicht zu einer Besserung der Situation bei.

Du fragst dich, warum ich so erschöpft bin nach einem ganz normalen Tag? Ich bin hochsensibel. Das bedeutet, dass ich Reize viel intensiver wahrnehme als nicht hochsensible Personen. Lärm, Gerüche und Stimmungen werden von meinem Gehirn anders aufgenommen und verarbeitet. Das heißt, dass ich zu den alltäglichen Herausforderungen einer arbeitenden Mutter noch mit weiteren zusätzlichen Belastungen zu kämpfen habe. Und ja, das ist nicht immer einfach und kann sehr anstrengend sein. Muss es aber nicht! Lernt man mit seiner Hochsensibilität umzugehen, kann diese eine echte Bereicherung sein.

Bevor ich mit dir meine 3 liebsten Tipps für hochsensible Mütter teile, lass uns genauer ansehen, was hinter dem Begriff Hochsensibilität eigentlich wirklich steckt.

Was ist Hochsensibilität?

Ich bin sicher, du hast den Begriff Hochsensibilität schon öfters gehört. Vielleicht sogar so oft in letzter Zeit, dass du bereits  überlegst, ob es einfach ein Trend, eine Modeerscheinung, ist. Nein, das ist Hochsensibilität definitiv nicht! Hochsensibilität ist ein gut erforschtes und belegtes angeborenes Persönlichkeitsmerkmal. 15-20 Prozent der Menschen sind hochsensibel!

Die neurologische Basis

Was ist bei uns hochsensiblen Personen (HSP) anders als bei nicht hochsensiblen Menschen? Eine entscheidende Rolle spielt ein kleines Hirnareal, der Thalamus, der Teil des Zwischenhirns ist. Er funktioniert wie ein Filterzentrum für unsere Sinneseindrücke. Das heißt, alles, was du siehst, hörst, fühlst oder schmeckst (Riechen bildet hier eine Ausnahme), wird vom Thalamus sortiert und gefiltert, bevor es ans Großhirn und somit in dein Bewusstsein weitergegeben wird. Bei HSP reagiert der Thalamus intensiver und ist gleichzeitig durchlässiger als bei nicht hochsensiblen Personen. Das bedeutet, mehr Reize, Informationen und Emotionen gelangen ungefiltert in unser Bewusstsein[1]. Wir nehmen demnach nicht nur mehr Reize auf, sondern müssen auch deutlich mehr verarbeiten. Kein Wunder also, dass HSPs schneller reizüberflutet und überfordert sind als Nicht-HSPs. Dennoch ist nicht alles negativ! Ein aktiver Thalamus bedeutet nämlich auch, dass wir mehr Details wahrnehmen, feinfühliger kommunizieren können, kreativ denken und intensiver fühlen. Wir sind nicht zu empfindlich oder schwach – wir sind tief verbunden mit unserer Umwelt!

Wie zeigt sich Hochsensibilität im Alltag?

Elain Aron, Pionierin auf dem Gebiet der Hochsensibilität, definiert Hochsensibilität anhand ihres DOES-Modells[2]:

  • Depth of processing (Tiefe der Verarbeitung)
  • Overstimulation (schnelle Überstimulation)
  • Emotional reactivity & empathy (emotionale Intensität & Empathie)
  • Sensitivity to subtleties (Wahrnehmung von Feinheiten)

Das klingt auf den ersten Blick sehr technisch und kompliziert, deswegen lass es mich vereinfacht sagen.

Stell dir vor, du betrittst als hochsensible Person einen Raum voller Menschen. Du siehst dich um und spürst sofort die Stimmung im Raum. Du kannst nicht hören, was die zwei Personen dort hinten im Eck sprechen, aber du fühlst instinktiv, dass Ärger in der Luft liegt. Bei den beiden dort drüben ist es anders. Sie wissen es noch nicht, aber du weißt es schon jetzt, die beiden mögen sich sehr und werden bald ein Paar sein. Die Frau allein beim Buffet versucht zu verbergen, wie nervös sie ist, und macht das richtig gut. Dir entgeht es dennoch nicht.

Du gehst durch den Raum und nimmst auf einmal einen seltsamen Geruch wahr, den sonst niemand außer dir zu riechen scheint. Du weißt sofort, in der Küche ist wohl etwas verbrannt. Und was surrt denn da eigentlich so und warum fällt es sonst niemandem auf? Bei der Treppe kann man ein Erinnerungsfoto machen lassen. Du gehst aber nicht hin und achtest darauf, immer mit dem Rücken zur Treppe zu stehen, denn das Blitzlicht irritiert dich sofort.

Nach der Party – du bist extra früh gegangen, weil du ein extrem schlechtes Gewissen hast, deine Kinder so lange allein zu lassen – kommst du heim und ziehst dich als Erstes um. Das Etikett in deiner Bluse hat dich schon den ganzen Abend irritiert und der Rock wurde gefühlt immer enger und unbequemer. Vor dem Schlafengehen möchtest du dir noch einen Film ansehen, zuerst muss aber dringend noch aufgeräumt werden, sonst kannst du dich unmöglich entspannen. Die Auswahl des Films ist nicht einfach, denn du lebst mit den Figuren mit, du identifizierst dich mit ihnen und spürst ihren Schmerz oder ihre Freude, als wären sie reale Personen, mit denen du befreundet bist. Du entscheidest dich für etwas Entspannendes, denn du weißt, du wirst sonst nicht schlafen können. Das wird ohnehin schwer, denn die vielen Gespräche vom Abend schwirren dir noch im Kopf herum. „Wie genau hat Anna das gemeint?“, „War ich zu direkt und ehrlich im Gespräch mit Peter?“, „Ist Lena beleidigt, weil wir nur so kurz geredet haben?“. Und nicht nur die vergangenen Gespräche beschäftigen dich. Was ist mit morgen? Hast du auch wirklich alles vorbereitet für die Schule der Kinder, für dein Work-Meeting und ist das Lieblingsshirt von deinem Sohn eigentlich gewaschen?

Eines steht fest, morgen brauchst du unbedingt Zeit für dich allein, denn nur so kannst du wirklich Energie tanken und deine Batterien wieder aufladen.

Das war ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben einer hochsensiblen Person. Bist du erschöpft allein schon vom Lesen? Kannst du dir jetzt besser vorstellen, was es bedeutet, hochsensibel zu sein? Oder erkennst du dich vielleicht sogar wieder?

Du verstehst jetzt bestimmt, warum wir Hochsensiblen noch zusätzliche Herausforderungen haben. Das Schöne ist, jeder kann lernen, mit seiner Hochsensibilität umzugehen.

Hier sind 3 einfach umsetzbare Tipps, die deinen Alltag als hochsensible, berufstätige Mutter erleichtern können. (Übrigens profitieren auch nicht hochsensible Mütter von diesen Tipps.)

1. Reizreduktion im Alltag

  • Noise-Cancelling-Kopfhörer für laute Phasen – im Workmeeting, am Spielplatz, auf der Geburtstagsparty, etc.
  • Plane deinen Tag entsprechend. Du musst nicht an einem Tag, an dem du schon 3 Arbeitsmeetings hast, auch noch mit deinem Kind ins Eisgeschäft, dann auf den Spielplatz, dann Freunde treffen, dann …
  • Konzentriere dich ausschließlich auf eine Sache. Kein Multitasking! Das menschliche Gehirn kann nur ein, maximal zwei Dinge gleichzeitig bewusst verarbeiten. Was wir Multitasking nennen, ist korrekt gesagt „Switching“ – zwischen Aufgaben hin- und herspringen. Das ist für unser Gehirn unglaublich anstrengend. Das Resultat: mehr Fehler, geringere Erinnerung, Energieverlust[3].
  • Bildschirmzeit reduzieren – ja, deine!

2. Tägliche Mikro-Auszeit

Oft ist es nicht einfach, sich gezielt Zeit für sich selbst zu nehmen. Das kenne ich sehr gut. Und auch wenn es schön wäre, sich jede Woche eine Massage und einen Abend allein zu ermöglichen, ist das wohl für die meisten von uns unrealistisch. Aber wir alle können uns bewusst kleine Mikro-Auszeiten nehmen. Oft sind fünf richtig genutzte Minuten mehrmals am Tag wesentlich effektiver als ein ganzer Spa-Day, um entspannt durch den Tag zu kommen. Daher überlege dir: „Was tut mir gut? Was brauche ich?“. Hier sind ein paar Ideen für dich. Bestimmt fällt dir auch noch einiges ein.

  • Fenster auf und 5 Mal tief ein- und ausatmen (dabei länger ausatmen)
  • eine kurze Meditation
  • zu deinem Lieblingslied tanzen
  • bewusst einen Kaffee oder Tee trinken
  • 5 Seiten lesen
  • kurz mit der besten Freundin telefonieren
  • 5 Minuten am Handy scrollen – NEIN
  • 5 Minuten im Badezimmer mit geschlossenen Augen und geschlossener Tür am Boden sitzen

3. Lass den Perfektionismus gehen

Gerade wir Hochsensiblen neigen extrem zu Perfektionismus und streben danach, es immer allen recht zu machen. Sich davon zu befreien ist gar nicht so einfach, aber möglich! Am Arbeitsplatz kann das bedeuten, ein Projekt abzuschließen, auch wenn du am liebsten noch weitere 100 Stunden daran feilen würdest (du weißt, es ist bereits gut). Es kann auch bedeuten, NEIN zum Kollegen zu sagen, der dich um einen „kleinen“ Gefallen bittet. Oder es heißt, pünktlich nach Hause zu gehen, auch wenn noch nicht alles fertig ist. In deiner Rolle als Mutter bedeutet es: Mach dir bewusst, dass dein Kind keine perfekte Mutter braucht oder will. Dein Kind braucht und will eine präsente Mutter. Es ist für deine Kinder nicht wichtig, ob die Küche aufgeräumt oder die Wäsche sortiert ist. Du bist diejenige, die diesen Anspruch hat, nicht dein Kind. Für dein Kind ist allein deine Aufmerksamkeit von Bedeutung. Deine Präsenz. Mach dir bewusst: Präsenz schlägt Perfektionismus. Immer! Also lass den Wäscheberg einfach mal liegen!

Diese Tipps helfen mir, ein erfülltes und entspanntes Leben als hochsensible, berufstätige Mutter von zwei neurodiversen Kindern zu führen. Ich hoffe, sie helfen auch dir! Und vergiss nicht, egal ob hochsensibel oder nicht, für uns alle gilt: Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit!

 

 

[1]Hochsensible Gehirne weisen eine verstärkte Thalamus-Aktivität auf.
Quelle: Jagiellowicz et al., 2011, „The Role of the Insula and Thalamus in Enhanced Perceptual Awareness in HSPs“

[2]Quelle: Elaine N. Aron, Ph.D., 1997,: „The highly sensitive person – How to thrive when the world overwhelms you“

[3]Quelle: Johan Hari, 2022,: „Stolen Focus“

ANDREA LORENZ

Andrea Lorenz ist ganzheitliche Mentorin für Hochsensibilität und begleitet hochsensible Mütter sowie hochsensible Kinder durch herausfordernde Lebensphasen. Als hochsensible, alleinerziehende Mutter zweier neurodiverser Teenager kennt sie die Höhen und Tiefen dieses Weges aus eigener Erfahrung.

Ihre Auseinandersetzung mit dem Thema begann, als ihr Sohn Unterstützung brauchte und sie merkte, wie wenig Wissen und Orientierung es damals gab. Daraus entstand der Wunsch, anderen Familien jene Begleitung zu geben, die sie selbst vermisst hat. Die Ausbildung zur „Ganzheitlichen Coachin für Hochsensibilität“ war für sie ein konsequenter Schritt.

Andrea verbindet klare, herzliche Stärke mit fachkundiger Begleitung. Sie unterstützt dabei, Hochsensibilität besser zu verstehen, anzunehmen und als Ressource zu nutzen – für mehr Leichtigkeit im Alltag.

Andrea lebt und arbeitet in Wien.

https://www.andrealorenz.at/aboutme

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